Unsafe at any speed…

Eigentlich ist dies der Titel eines Buchs des amerikanischen Anwalts Ralph Nader, der Ende der 60er Jahre damit die Automobilhersteller zwang, die Sicherheit ihrer Produkte zu verbessern. Auslöser für das Buch war ausgerechnet ein GM-Produkt, der schöne, aber auch sehr gefährliche Chevrolet Corvair.

Sehr frei übersetzt passt diese Überschrift aber auch auf die gegenwärtige Lage in Trollhättan. Knapp zwei Wochen sind jetzt seit dem Verkauf von Saab an NEVS vergangen. Doch nachdem man am Tag der Bekanntgabe vielleicht noch geglaubt hatte, dass das Ende des Insolvenzverfahrens erreicht wäre und für Saab wieder eine ruhigere Zukunft beginnt, kann man jetzt das Gegenteil feststellen. Es scheint so, dass es mehr offene Frage über die Zukunft von Saab gibt als vor der Bekanntgabe von NEVS als Käufer Käufer von Saab am 13. Juni 2012.

Bisher hat NEVS am Tag der Bekanntgabe des Verkaufs lediglich rudimentäre Pläne vorgestellt und ein aus meiner Sicht ein so nicht tragfähiges Konzept vorgelegt. Weitere Einzelheiten sind nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Danach hat NEVS mitgeteilt, dass man bereits mit der Rekrutierung von Personal im Bereich Management und Entwicklung begonnen hätte. Nähere Infos: Wieder Fehlanzeige. Die Verhandlungen über die Marken- und Logorechte mit der Saab AB und Scania dauern an und es scheint kurzfristig zu keiner Lösung zu kommen.

Bisher gibt es weiterhin keine Informationen, ob die Finanzierung von NEVS gesichert ist. Die bekannten Planungen von NEVS sind nicht stimmig und erklären nicht, wozu man Saab und die recht große Saab-Fabrik in Trollhättan überhaupt gekauft hat. Elektroautos in Kleinserie zu verkaufen, um sie nach China mit einem exorbitanten Zollzuschlag zu exportieren erscheint mir finanziell nicht tragfähig. Dazu geht man völlig überoptimistisch von einem sehr hohen mittelfristigen Bedarf an Elektrofahrzeugen aus, ohne auf eine Übergangszeit konzeptionell und finanziell Rücksicht zu nehmen.

Daneben gibt es aus meiner Sicht weitere Problempunkte: Es gibt keine Verhandlungen mit den Saab-Händlern über neue Vertriebsverträge. Zwar will man mit Saab Parts und damit vielleicht auch mit den Resten der Saab-Händler-Organisation zusammenarbeiten, aber auch darüber gibt es nur Absichtserklärungen, nicht konkretes. Über Verhandlungen mit Zulieferfirmen gibt es ebenfalls nichts zu berichten. Offen ist weiterhin auch der Kaufpreis. Hier gibt es immer noch keine Informationen darüber, wieviel NEVS eigentlich genau für Saab ohne Saab Parts zahlt. Darüber hinaus ist in den letzten Tagen noch bekannt geworden, dass NEVS lediglich einen Vorvertrag mit den Insolvenzverwaltern abgeschlossen hat. Dies kann noch im Rahmen des üblichen sein, allerdings trägt das nicht gerade zur Sicherheit über die Zukunft von Saab bei.

Zu guter Letzt spielen auch wieder die Lizenzen für den Saab 9-3 eine Rolle. BAIC hat sich heute wieder zu Wort gemeldet und beharrt darauf, dass man am 9-3II in der Facelift-Version ebenfalls Rechte hätte und eine Nutzung des 9-3II Facelifts verhindern könne. Dies widerspricht allerdings den bisherigen Pressemeldungen aus Schweden.

Hier nochmal die bisher bekannten Hintergründe: Die Rechte am Saab 9-5I und am Saab 9-3II Prefacelift wurde von GM an BAIC 2009 verkauft. Der Erlös von ca. 150 Mio. Euro ist nicht bei Saab verblieben, sondern ging an GM. Daneben wurde auch die Fertigung der alten Saab-Motoren an BAIC verkauft. Nicht an BAIC verkauft wurden die Fertigungsanlagen des 9-3II und die IP-Rechte für den aktuellen (Facelift) 9-3II. Nach meinem Kenntnisstand wurden auch nicht die Fertigungsanlagen für den 9-5I an BAIC verkauft. Die Geschichte mit BAIC wäre damit eigentlich abgeschlossen. Saab hat noch Ende 2010 ein Conceptcar auf Basis des 9-3II für BAIC erstellt, das Teile des gefacelifteten 9-3II nutzte. BAIC hat zwar schon früher behauptet, dass man alle oder einige Rechte am 9-3II besitze, dies wurde von den Beteiligten und der Presse aber nicht ernst genommen.

Allerdings ist nicht ganz ausgeschlossen, dass die BAIC-Version zutreffend ist. Hier kommt es entscheidend auf den Vertragsinhalt beim Verkauf der Modelle 9-5I und 9-3II Vorfacelift von GM an BAIC im Jahr 2009 an. Dieser ist öffentlich nicht bekannt. Den Insolvenzverwaltern und NEVS ist er jedoch sicherlich bekannt. Auch hier stellt sich die Frage, warum dies in den letzten 7 Monaten nicht geklärt werden konnte.

Insgesamt gibt es seit zwei Wochen keine guten Nachrichten. Die Übernahme von Saab durch NEVS steht weiterhin unter einem schlechten Stern. Positiv wird die Übernahme durch NEVS lediglich durch ein paar offizielle Stimmen gewertet, ansonsten nur negative Kommentare oder Schweigen. Ob NEVS diese negativen Reaktionen zukünftig „umdrehen“ kann, bleibt abzuwarten. Aus meiner Sicht geht man pressemäßig aber den falschen Weg. Saab spielt in den Medien in Schweden eine große Rolle und NEVS kann hier eigentlich nicht im Geheimen agieren oder sich tot stellen. Dafür ist dann Saab in Schweden wieder zu groß und interessant. Auf der anderen Seite darf man nicht mit überoptimistischen Plänen an die Presse gehen und auch nicht in jedes vorgehaltene Mikrofon sprechen. Außerdem muss sich NEVS natürlich darauf einstellen, dass die Presse sehr gerne negative Meldungen über Saab bringt. Hier muss man entsprechend aktiv agieren und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Aber anstatt zu agieren und realistische positive Meldungen zu lancieren macht NEVS bisher gar nichts oder reagiert höchstens etwas beleidigt auf negative oder kritische Pressemeldungen. Hierfür gibt es aus meiner Sicht zwei Erklärungen: Entweder hat NEVS tatsächlich nichts positives zu vermelden – was für Saab äußerst schlecht wäre – oder man ist völlig unerfahren im Umgang mit der Presse, was ebenfalls nicht gerade für NEVS spricht.

Ich war und bin dafür, NEVS eine Chance zu geben. Aber diese Chance muss NEVS auch nutzen. Zwei Wochen sind für eine solche Beurteilung natürlich ein viel zu kurzer Zeitraum. Aber dass in zwei Wochen und vorherghend nach einem halben Jahr Verhandlungen im Saab-Insolvenzverfahren eigentlich überhaupt keine offenen Fragen geklärt werden konnten lässt mich nicht gerade positiv in die Saab-Zukunft blicken. Die Unsicherheit geht also weiter und hat sich sogar verstärkt. Gerade jetzt müsste aber das Gegenteil stattfinden. Der Investor müsste jetzt seine Karten auf den Tisch legen und zumindest eine gesicherte Finanzierung und ein strukturierteres Konzept mit detaillierter Planung für die nahe Zukunft vorlegen und Antworten auf die noch offenen Fragen geben. Nur dies ermöglicht einen vernünftigen Start für NEVS und sorgt für Sicherheit und Vertrauen bei den potentiellen Kunden, Arbeitnehmern, Zulieferern und Händlern sorgen.

Und man sieht an den aktuellen Spekulationen, dass es an dieser Sicherheit und an diesem Vertrauen fehlt. Zur Zeit wird ja schon darüber spekuliert, ob NEVS nicht doch nur ein Platzhalter ist, damit die Verhandlungen mit anderen potenten Investoren weitergehen können. Ich halte diese These doch zu gewagt und natürlich liegen in diesen Spekulationen auch Hoffnungen und Wünsche. Aber sie zeigt, dass NEVS dabei ist, das letzte Vertrauen zu verspielen und gar nicht mehr ernst genommen wird. Und dann hilft wirklich nur noch ein neuer Investor.

Vor ein paar Wochen haben wir noch gedacht, dass mit einer Bekanntgabe eines Käufer die Leidenszeit größtenteils vorbei sein müsste. Doch jetzt muss ich schon wieder den alten Standardsatz bringen: Leider werden wir weiter abwarten müssen!

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6 Antworten zu Unsafe at any speed…

  1. 9000er schreibt:

    Soweit ich es damals mitbekommen habe, hat GM die Fertigung der original SAAB-Motoren sowie die Fertigung der 9-5I und des 9-3I an BIAC verramscht. Es gab auch mal Bilder im Netz auf denen der Weiterbau dieser Modelle mit leicht veränderter Front in China zu sehen war.
    Das hat GM gut eingefädelt, die letzten SAAB-Originalteile (u.a. die wirklich guten Motoren) nach China verkaufen, damit hatte man den Rest an sich gebunden und das war realistisch gesehen nicht mehr zu verwerten/verkaufen, da es unter 100% GM-Kontrolle war.
    Ohne diesen Schachzug hätte SAAB mit neuen Eignern ganz anders durchstarten können. Das war aber von Anfang an nicht gewollt.

  2. Saabfan schreibt:

    Ich bin ebenfalls sehr skeptisch, ob jemals wieder neue Autos mit dem Greif angeboten werden.
    Reine Elektromobile, ich weiss nicht, ob die Technologie schon so weit ist, da bräuchte es schon revolutionäre Batterietechnologie. Ausserdem: Wo wird all der Strom produziert, wenn wir nach der Energiewende elektrisch fahren sollen?
    Na wenigstens ist ja jetzt die Ersatzteilversorgung für die aktuellen Modelle gesichert.
    Wer noch ein 2006er Anniversary Cabrio 2.0t fahren möchte, kann sich gerne an mich wenden. Ich muss mich aus beruflichen Gründen von einem meiner Saabs trennen, das Cabrio ist scheckheftgepflegt und unfallfrei, Farbe „Electric Blue“, da hat wohl einer bei Saab schon mal eine Zukunftsvision gehabt…

  3. Detlef Rudolf schreibt:

    Auf anderen Blogs gibt es Anregungen, dass Victor Muller mal eine Stellungnahme zum Stand der Dinge – möglichst auch mit Zukunftsaspekten – abgeben könnte. Da die Administratoren zuletzt immer vollmundig verkündet hatten, dass VM stets bei den Verhandlungen als Berater dabei war, dürfte hier etwas Insider-Wissen vorhanden sein und dies gern auch mal an die wartenden Fans weitergegeben werden (so wie es auch zuvor der Stil von VM war)!

    • tauentzien schreibt:

      Victor Muller ist kein Angestellter von NEVS oder der Insolvenzverwalter. Auch wenn er noch beratend tätig war kann er kaum „Insiderwissen“ über das Insolvenzverfahren oder über die fremde Firma NEVS ausplaudern. Als Spyker noch eigentümer von Saab war, war es für VM als Spyker-Chef problemlos, Statements abzugeben. Aber jetzt als „Berater“ (was auch immer er beraten hat) kann und darf er schon aus rechtlichen Gründen keine Informationen weitergeben. Daher werden wir ganz sicher dazu keine Stellungnahme von VM bekommen. Finde ich auch in Ordnung, ich will ja auch nicht, dass z.B. mein Steuerberater an die Presse geht und Internas über mich ausplaudert.

      • Detlef Rudolf schreibt:

        Als Mandant eines Steuerberaters ist man gewöhnlich nicht von öffentlichem Interesse und hier gibt es auch eine Diskretionsverpflichtung (ähnlich der ärztlichen Schweigepflicht). SAAB ist jedoch von öffentlichem Interesse – und gerade weil Victor Muller kein Angestellter von SAAB bzw. der Administartoren und auch nicht von NEVS ist, könnte er eigentlich schon schildern, in welche Richtung die Reise gehen soll. Selbstverständlich soll er keine Internas über NEVS ausplaudern (falls er diese überhaupt hat). Aber die grobe Richtung, was nun eigentlich die nächsten Jahre kommen soll, wäre schon im Bereich der möglichen Infos – denn hier gibt es weder von NEVS noch von Seiten der Verwalter irgendwelche fundierten Infos für die langjährigen „SAAB-Getreuen“ und andere interessierte Personengruppen.

  4. Marcus schreibt:

    ich bin mir völlig sicher, dass das schweigen von nevs einen gewichtigen grund hat. hier gibt es sicher noch vorgänge, von denen wir noch erfahren werden.
    vm darf dazu nichts sagen und ich bin mir auch sicher, dass er eine verschwiegenheisterklärung abgeben musste.

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