Die Saab-Story 2011 – Teil 1

Viele stellen sich die Frage, warum es Saab nicht geschafft hat. Die einfachste Lösung ist es, einen Alleinverantwortlichen zu suchen: Victor Muller. Der böse Holländer, der keine Ahnung aber eine große Klappe hat und Saab nur übernommen hat, um Geld aus der Firma zu ziehen. Ja, landläufig oder am Stammtisch ist das eine schöne und einfache Lösung. Für einfache Gemüter passen solche Ansichten. Aber aus meiner Sicht stimmt diese Behauptung nicht mit der Wirklichkeit überein. Ich sehe es etwas differenzierter, einfache Antworten gibt es im Leben nicht. Daher heute mal ein sehr langer Überblick über die tragischen Entwicklungen des Jahres 2011.

Zwischenzeitlich liegen ja einige Insider-Informationen der verschiedensten Beteiligten über die Abläufe im letzten Jahr vor. Natürlich ist nicht alles auf dem Tisch, aber es gibt doch deutlich mehr Informationen als noch vor einigen Wochen.

Zunächst lag insgesamt eine schlechte Ausgangslage für Spyker im Frühjahr 2010 vor. GM wollte seit Februar 2009 eigentlich Saab einfach schließen und war nur auf Druck bereit, Saab doch zu verkaufen. Allerdings verzögerte GM den Verkauf von Saab über das ganze Jahr 2009 bis ins Jahr 2010. Nachdem im Januar 2010 die Verhandlungen mit dem zweiten Kaufkandidaten Spyker ins Stocken geraten waren, gab GM bekannt, dass man Saab abwickeln würde. GM fuhr noch im Januar 2010 die Produktion herunter. Zusätzlich gab es damals noch weitere Probleme und Bedingungen, die teilweise erst jetzt bekannt wurden. GM konnte über diese Knebelvereinbarung letztendlich weiter über die Existenz von Saab bestimmen. Daneben hatte Saab sich im Verlauf des Jahres 2009 noch um einen EIB-Kredit bemüht. Diese Kredite dürfen nur für Forschung und Entwicklung eingesetzt werden und müssen durch eine Bürgschaft des schwedischen Staates gedeckt sein. Auch erhalten die EIB und der schwedische Staat aufgrund der Kreditvereinbarungen Mitspracherechte bei der Eigentümerstruktur. Dieses Mitspracherecht nutzte die EIB sehr schnell aus. Im Winter 2010/2011 verhinderte die EIB (und nicht GM) den Einstieg des finanzkräftigen Investors Wladimir Antonow (Bild links) aufgrund falscher Informationen zu seiner Person. Saab musste darauf eingehen, um den benötigten EIB-Kredit zu erhalten. Damit fiel ein potentieller Geldgeber weg, der als Anteilseigner schnell zusätzliches Kapital hätte einbringen können.

Angesichts dieser Ausgangslage war der Spyker-Businessplan für Saab zu optimistisch. Der Business-Plan von Spyker ging und geht von 80.000 notwendigen Einheiten zum Erreichen der Gewinnzone aus. Nach Informationen aus der Presse stimmt dies (vgl. hier). Saab hat aus meiner Sicht auch das Potential, diese Zahlen zu erreichen. In guten Zeiten erreichte man 120.000 Einheiten jährlich. 2010 sollten schon 60.000 Einheiten erreicht werden. Allerdings war bei diesem Businessplan Zeit der entscheidende Faktor.

Das Problem lag im Jahr 2010 darin, dass durch die zögerlichen Verhandlungen und durch die angekündigte Schließung von GM das Image von Saab geschädigt wurde und damit die Verkaufszahlen Ende 2009 völlig eingebrochen waren. Saab war für die Masse der Kunden schon verschwunden. Deshalb stieg der erste Käufer Koenigsegg im November 2009 aus den Verhandlungen mit GM aus. Das Spyker-Konsortium unter Victor Muller (Bild rechts), das im Januar 2010 dann Saab übernahm, ging trotzdem von 60.000 verkauften Fahrzeugen im Jahr 2010 im Business-Plan aus. Leider zeigte es sich schnell, dass diese Zahl 2010 nicht erreicht werden konnte.

Im Verlauf des Jahres 2010 ergaben sich mehrere Probleme. Mit Antonow fehlt aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt irrationalen Weigerung der EIB ein Geldgeber, der kurzfristig Geld nachschießen konnte. Aufgrund des Verhaltens von GM konnte die Produktion erst viel später anlaufen. Eigentlich war man erst im 2. Halbjahr produktionstechnisch wieder in der Normalität angelangt. Zusätzlich fehlte 2010 wohl aufgrund der Kosten eine große internationale Werbekampagne, um dem normalen Kunden die Botschaft zu vermitteln „Saab lebt und hat tolle und neue Produkte im Angebot“. Daher konnte man im Aufbaujahr 2010 statt 60.000 nur 30.000 Fahrzeuge absetzen.

Offensichtlich wurden die daraus resultierenden finanziellen Probleme von den Saab- und Spyker-Verantwortlichen Jan-Ake Jonsson (Bild links) und Victor Muller unterschätzt. Im Herbst 2010 begann Saab zwar noch unter der Führung von Jan-Ake Jonsson  gegenzusteuern, da aufgrund der verzögerten Erholung der Verkaufszahlen eine Finanzierungslücke offensichtlich wurde. Ab Oktober 2010 verhandelte Spyker-Chef Victor Muller mit chinesischen Firmen über einen Einstieg bei Saab. Allerdings gingen Muller und Saab wohl zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass Antonow zügig bei Saab einsteigen könnte und damit Saab kurzfristig keine Gefahr drohe. Die EIB war ja, was zwischenzeitlich offiziell erwiesen ist, von falschen Informationen über Antonow ausgegangen. Die „Mafia-Vorwürfe“ waren nie haltbar. Es gab damals also nichts, was gegen Antonow sprach. Die Vorwurfe über unlautere Geschäfte mit seinen baltischen Banken wurden erst im Herbst 2011 bekannt.

Auch Wladimir Antonow ging davon aus, dass er im Jahr 2011 problemlos bei Saab einsteigen könnte. Dies zeigt das Interview, dass er im März 2011 (Februar 2011) der schwedischen Presse gegeben hat (vgl. hier) In diesem Interview sprach er von einem kurzfristigen Liquiditätsengpass im Frühjahr 2011 und dass er bereit sei, falls notwendig 50 Mio. Euro zu investieren. Dies hätte im Frühjahr 2011 ausgereicht, um die Produktion am Laufen zu halten, bis dann später im Jahr 2011 die chinesischen Partner und Antonow hätten einsteigen können. Natürlich musste damals die Saab-Führung diese von Antonow erstmalig aufgeworfenen finanziellen Probleme dementieren, um nicht die weitere negative Entwicklungen zu beschleunigen. Aber die finanziellen Probleme waren schon vorhanden.

Das Saab-Management unterschätze jedoch weiterhin diese finanziellen Probleme. Aufgrund von kurzfristigen Zahlungsproblemen verweigerten einige Zulieferer Ende März 2011 die Teilelieferung. Dadurch kam es Anfang April zum Produktionsstillstand in Trollhättan. Jetzt waren die Probleme groß, keine Einnahmen trotz laufender Kosten und, zusätzlich, negative Presse, unzufriedene Zulieferer und Kunden.

Im April und Mai 2011 agierte die Saab-Führung eher glücklos gegenüber Zulieferern und Presse und glaubte wohl an eine einfache und schnelle Lösung des Problems über den Verkauf der Fabrikgebäude an Antonows Investmentfond Gemini und den danach folgenden direkten Einstieg von Antonow als Anteilseigner. Eine Einigung konnte nicht mit allen Zulieferern erszielt werden, so dass eine Wiederaufnahme der Produktion im Mai schon nach wenigen Tagen wieder abgebrochen werden musste. Erst verzögert ging man ab Mai auf die chinesischen Partner zu und erhielt aus China eine Zwischenfinanzierung, um Saab überhaupt am Leben zu erhalten. Weiterhin ging Saab aber von einer positiven Lösung des Einstiegs Antonows durch die EIB aus.

Doch hier hatte Saab sich verrechnet. Die EIB verzögerte monatelang ohne Stellungnahme die Zustimmung zum Einstieg von Antonow und die schwedische Regierung tat nichts für Saab. Vielmehr arbeiteten einzelne Regierungsmitglieder, wie zum Beispiel der Finanzminister Anders Borg (Bild rechts), hinter den Kulissen gegen Saab. Die schwedische Wirtschaftsministerin Maud Olofsson (Bild links unten) fiel eher durch Nichtstun oder durch fehlende Informationen in Pressekonferenzen auf. Ende Juli 2011 wurde dann bekannt, dass die EIB ohne weitere Prüfung zu diesem Zeitpunkt grundlos trotz der Zustimmung der schwedischen Reichsschuldenverwaltung Antonow als Investor ablehnte und dabei von Teilen der schwedischen Regierung noch unterstützt wurde (vgl. hier und hier). Saab musste erkennen, dass eine Rettung über diesen Weg nicht möglich war. Das hinterhältige Verhalten von EIB und schwedischer Regierung hatte Saab damit mindestens einen guten zweistelligen Millionenbetrag gekostet und zusätzlich wurde wertvolle Zeit vertan.

Dies sollte für Saab noch zu einem sehr ernsten Problem werden werden. Mehr dazu in Teil 2 der Saab-Story 2011.

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6 Antworten zu Die Saab-Story 2011 – Teil 1

  1. Marcus schreibt:

    hervorragend geschrieben und auch sehr differenziert beobachtet!
    eine wohltat gegenüber anderen veröffentlchungen, die nur dumpfes vm-bashing beherrschen.
    es wurden durch das management gravierende fehler gemacht – leider mit verhgeerenden folgen.
    in allen mamangement etagen werden feheler gemacht, meist nicht weniger als bei saab, nur ist die kaptaldecke dort weitaus besser.
    der unermüdliche einsatz von vm, bis heute übrigens, hat meine achtung vor dessen leistung weiter steigen lassen.

  2. B. Koch schreibt:

    Vielen Dank für den tollen Bericht, wenn auch ein bisschen SAABistisch, aber ein Hoch auf Victor Muller- solche Leute stehen für und mit SAAB. Respective so sehen SAAB Fahrer und Freunde aus. Schade nur das im wirklichen Leben die meisten unserer Mitmenschen zu durchschnittlichen Lemmingen mutieren und nicht mehr die Schneid haben für die Sache einzustehn.

  3. Pascal schreibt:

    Respekt, ich freue mich schon auf Teil 2 🙂

  4. Klaus schreibt:

    Alle Achtung und Respekt.
    So einen tollen Bericht liest man wirklich nicht alle Tage.Bitte weiterhin so professionell blogen.
    Lese seit bestehen dieser Homepage mit großer Begeisterung deine Berichte.
    Jetzt muß ich mal danke sagen.

    Viele liebe Grüße aus Österreich.

  5. stelo schreibt:

    Wladimir Antonow ist ein bekannter (nicht nur in Litauen) Wirtschaftskrimineller und sitzt inzwischen (verhaftet in London).

    • tauentzien schreibt:

      Antonow befindet sich zur Zeit nicht im Gefängnis. Auf die Vorwürfe im Herbst 2011 habe ich ja hingewiesen. Im übrigen halte ich nichts von Vorverurteilungen! Warten wir mit der Bezeichnung „bekannter Wirtschaftskrimineller“ lieber das Gerichtsverfahren ab!

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